Lyrikanalyse Trakl: Grodek

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Erschließen und interpretieren Sie das nachfolgende Gedicht und erklären Sie seinen zeit- und literaturgeschichtlichen Hintergrund! Gehen Sie dabei auf die Biographie des Autors ein indem Sie als Hilfsmittel den abgedruckten Artikel benutzen.


Georg Trakl

GRODEK (1914)

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen Und blauen Seen, darüber die Sonne Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht Sterbende Krieger, die wilde Klage Ihrer zerbrochenen Münder. Doch stille sammelt im Weidengrund Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt Das vergossne Blut sich, mondne Kühle; Alle Straßen münden in schwarze Verwesung. Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain, Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter; Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes. O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, Die ungebornen Enkel.


Kurzbiographie: Georg Trakl (1887-1914)

[[...] Aus dem vorher lebensfrohen und lebhaften Knaben wurde [[während der Pubertät] ein introvertierter, melancholischer, missmutiger, sich zurückziehender Jugendlicher. Schon in diese Zeit fielen erste Kontakte mit Betäubungsmitteln und Rauschgiften, die er zunehmend regelmäßig einnahm, sowie Selbstmorddrohungen. Das Verhältnis zu seiner vier Jahre jüngeren Lieblingsschwester Margarethe, genannt Gretl, [[...] gewann aller Wahrscheinlichkeit nach phasenweise an Intensität, die über die rein geschwisterliche Liebe hinausging, was später ebenso wie die Tatsache das Trakl sie zum Rauschgift verführte, zu schwersten Schuldgefühlen, die auch in seinen Dichtungen deutliche Spuren hinterließen. Die Figur seiner Schwester, die bis zu seinem Lebensende die einzige wichtige Frauengestalt für ihn darstellte, lässt sich unmittelbar oder auch indirekt in über einem Drittel seiner Dichtung feststellen. [[...] Eine Fehlgeburt sowie eine schwere Erkrankung der noch immer tief verehrten, inzwischen verheirateten [[...] Schwester Gretl lösten im November 1913 Trakls bis dahin schwerste Lebenskrise aus. [[...] [[Trakl rückte] im August 1914 unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges freiwillig mit einer Sanitätseinheit ein [[...]. Diese [[...] wurde im September bei einer besonders grauenvollen Schlacht bei Grodek eingesetzt. Trakl musste hier auf sich allein gestellt und ohne helfen zu können 90 Schwerverwundete zwei Tage lang betreuen. Vom Versuch sich zu erschießen wurde er von Kameraden abgehalten und nach einem Fluchtversuch zurückgebracht. [[...] Zur Beobachtung seines Geisteszustandes wurde er im Oktober in die Psychiatrie-Abteilung des Hospitals in Krakau eingewiesen, wo er an einer Überdosis Kokain starb.

Hartmut von der Heyde (Hrsg.): Lexikon Deutsch. Autoren und Werke. Freising: 2000, S.198ff


Gliederung

1 "Grodek" als exemplarisches Werk Trakls Dichtung

2 Interpretation zu Georg Trakls "Grodek"

2.1 Inhalt und Aufbau 2.1.1 Natur und Krieg 2.1.2 Zerstörung und Aussichtslosigkeit 2.1.3 Leichen der Gefallenen 2.1.4 Ehre

2.2 Formale Analyse 2.2.1 Äußere Gestaltung 2.2.2 Versform 2.2.2.1 Metrik 2.2.2.2 Versende 2.2.2.2.1 Kadenzen 2.2.2.2.2 Enjambements 2.2.2.3 Rhythmik

2.3 Sprachlich-stilistische Analyse 2.3.1 Syntax 2.3.1.1 Wechsel para- und hypotaktischer Satzbau 2.3.1.2 Inversionen 2.3.1.3 Appositionen 2.3.1.4 Anrede 2.3.2 Wortwahl 2.3.2.1 Konkrete Nomenwahl 2.3.2.2 Verben der Bewegung 2.3.2.3 Bildlich-beschreibende Adjektive 2.3.2.4 Anzahl der Adverbien 2.3.2.5 Wortfelder 2.3.3 Klangfiguren 2.3.3.1 Ausruf 2.3.3.2 Alliterationen 2.3.3.3 Synkopen 2.3.3.4 Onomatopoesie 2.3.4 Bildlicher Sprachgebrauch 2.3.4.1 Antithetik 2.3.4.2 Farbsymbolik 2.3.4.3 Metapher 2.3.4.4 Synekdoche 2.3.4.5 Personifikationen 2.3.4.6 Synästhesie

3 Zeit- und Literaturgeschichtliche in Bezug auf Biographie Trakls 3.1.1 Beginn des Ersten Weltkriegs

3.1.1.1 Schlacht bei Grodek 3.1.1.2 Psychische Schädigung Trakls 3.1.2 Epoche des Expressionismus


Erschließung und Interpretation des Gedichtes "Grodek" von Georg Trakl

"Grodek" gilt als eines der bekanntesten Gedichte Trakls und ist Ausdruck der von ihm selbst erlebten Brutalität des Ersten Weltkrieges; Trakl vermittelt dem Leser eine erschütternde Darstellung seiner Impressionen. Die Schlacht bei Grodek im September 1914 hinterließ bei Trakl so starke Eindrücke, dass er nach vermehrten Selbstmordversuchen noch im Oktober 1914 im Alter von 27 Jahren an einer Überdosis Kokain starb. "Grodek" scheint für sein literarisches Schaffen exemplarisch zu stehen, denn auffallend für Trakls Gesamtwerk sind drei immer wiederkehrende Motive: Das der Nacht, des Herbstes und des Todes, die alle in "Grodek" vereint werden.

Im Folgenden schließt sich die Interpretation des Gedichts "Grodek" von Georg Trakl einschließlich des Bezugs auf den zeit- und literaturgeschichtlichen Hintergrund des Werkes unter Berücksichtigung der Biographie des Autors an.

Das Gedicht lässt sich in vier Sinnabschnitte mit voneinander unterscheidbaren Inhalten einteilen. So wird in V.1 – V.6 die Natur in fast idyllischem Ton beschrieben, die von den Ereignissen des Krieges jedoch überschattet wird; somit wird ein Effekt der Kontrastierung gebildet. Die in dieser Situationsdarstellung dargelegte Grundstimmung hält sich über das gesamte Gedicht. In V.7 – V.10 beschreibt Trakl das groteske Bild der Zerstörung und des Todes, das der Krieg hinterlässt, sowie die damit eintretende Aussichtslosigkeit. Dabei wird das Anfangsbild intensiviert. Im dritten Sinnabschnitt von V.11 – V.14 kontrastieren erneut Natur- und Kriegseindrücke als die Beschreibung der Leichen der Gefallenen unter herbstlichem Sternenhimmel erfolgt. Das Endbild von V.15 – V.17, in dem die Perspektive durch eine direkte Ansprache des lyrischen Ichs einen Wechsel erfährt, wertet die Sinnlosigkeit des sogenannten Heldentodes und stellt die Bedeutung der Ehre angesichts des Elends in Frage.

Das Gedicht "Grodek" besteht formal gesehen aus einer Strophe zu 17 Versen unterschiedlicher Länge und ohne festes Metrum, so dass man von einem freien Rhythmus sprechen kann. Die Versenden reimen sich nicht und weisen ohne erkennbare Regelmäßigkeit wechselnde Kadenzen auf. Durch die große Anzahl von Enjambements vor allem in den ersten beiden Sinnabschnitten erhält das Werk einen prosaischen Charakter, so von V.1 auf V.2, V.2 auf V.3, V.3 auf V.4, V.5 auf V.6 oder zum Beispiel in V.7 auf V.8: "Doch stille sammelt im Weidengrund / Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt". Nur selten fallen Vers- und Satzende zusammen (V.6, V.10). Insgesamt bewirkt dies im Gedicht eine gesteigerte Dynamik, die durch Pausen wie zwischen V.6 und V.7 oder V.13 und V.14 verlangsamt wird, um aber kurz darauf wieder an Geschwindigkeit zuzunehmen.

Durch den Wechsel parataktischen wie auch hypotaktischen Satzbaus überschneiden sich klar verständliche Passagen mit solchen, die verworren erscheinen. In V.10 ("Alle Straßen münden in schwarze Verwesung") oder V.14 ("Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes") zum Beispiel sind keine Nebensatzkonstruktionen vorhanden, wohl aber in V.7ff oder V.11ff. Auffällig sind viele Inversionen, die teilweise grammatikalische Brüche nach sich ziehen. Sie sind verworren und unklar; oft sind die Sätze nicht falsch als solches, jedoch unverständlich im Zusammenhang mit anderen, die sich aneinander reihen oder als Parenthesen eingeschoben sind wie in V.7 – V.9. Hier bildet V.8 einen Faktor der Verwirrung. V.7 und V.9 alleine machen Sinn: "Doch stille sammelt im Weidengrund / [...] / Das vergossne Blut sich". V.8 ("Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt"), bringt den sonst korrekten Satzbau—wenn durch die eingesetzte Inversion bereits ungewöhnlich—durcheinander. In V.11 ist ein Wort zu viel eingefügt: "Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen / Es schwankt der Schwester Schatten[...]". Stünde V.12 allein, so wäre er grammatikalisch völlig richtig; allerdings, in Verbindung mit V.11 müsste es vielmehr heißen, "Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen / Schwankt der Schwester Schatten[...]". In V.9 oder V.13 zeigen sich Appositionen, kürzere Einschübe, die im üblichen Sprachgebrauch zusätzlich erklärend wirken; hier summieren sie sich aber eher bis zur Unübersichtlichkeit auf. Insgesamt kann man bei Betrachtung der Syntax festhalten, dass viele der eingesetzten Elemente eine verwirrende Wirkung haben. Möglicherweise lässt sich dies auf die persönlichen Empfindungen bei Betrachtung eines solchen Szenarios zurückführen, indem sich in der idyllischen Natur Lachen vom Blut der Gefallenen bilden. Dies kann ohne Frage zumindest zu innerer Aufruhr, wenn nicht sogar zu geistigen Schäden führen wie es bei Trakl der Fall war. Die Anrede in V.15 ("[...]ihr ehernen Altäre") zeigt eine Besonderheit der Syntax auf. Nicht nur findet hier eine direkte Ansprache des lyrischen Ichs statt, das in einem epischen Text durch eine wörtliche Rede dargestellt werden würde, sondern gleichzeitig wandelt sich die Perspektive. Bis einschließlich V.14 tritt das lyrische Ich als beschreibende, erzählende Instanz hinter dem Beschriebenen zurück; hier löst es sich aus seiner Haltung und wertet in seiner Anklage das vorher Erzählte.

Die Wortwahl im Bereich der Nomen basiert zumeist auf konkret vorstellbaren Dingen wie "Wälder" (V.1), "Waffen" (V.2), "Blut" (V.9) oder "Rohr" (V.14). Abstrakta sind kaum vorhanden; Ausnahmen von der Vielzahl der benutzten Konkreta bilden Nomen wie "Gott" (V.8), "Trauer" (V.15) oder beispielsweise "Schmerz" (V.16). Die konkrete Nomenwahl bestärkt die Bildlichkeit des Gedichts. Während ein Leser sich aller Wahrscheinlichkeit nach schwer tun wird, sich "Trauer" bildlich vorzustellen, hat er mit "Waffen" und "Blut" keine Probleme. So ist der Eindruck, den Trakl vermittelt, einprägsamer und aufrüttelnder. Die Verben sind meist solche der Bewegung. Hier dominieren aber nicht rasche, schnelle Bewegungsabläufe wie es bei "rennen" oder "hasten" der Fall wäre, sondern langsame, gemächliche wie "hinrollen" (V.4), "umfangen" (V.4), "münden" (V.10) oder "schwanken" (V.12). Dies könnte Ausdruck der Unaufhaltsamkeit sein; zwar sieht man wie sich das Unheil in der Ferne langsam zusammenbraut, ist aber außer Stande es aufzuhalten. Adjektive benutzt Trakl in großen Mengen. Sie haben bildlich-beschreibende Funktionen ("herbstlichen" (V.1), "goldnen" (V.2), "sterbende" (V.5), "blutenden" (V.13), "heiße" (V.16)) und tragen zur Anschaulichkeit des Gedichts in großem Maße bei. Adverbien sind außer "stille" (V.7) und "leise" (V.14) keine vorhanden. Diese zwei haben allerdings eine entscheidende Funktion in der Bestimmung der Rhythmik. Die ihnen vorhergehenden Pausen geben ihnen größere Wirkungskraft, so dass man tatsächlich "stille" und "leise" weiterliest; die Dynamik wird gebrochen. Erwähnenswert im Bereich der Wortwahl sind noch die von Trakl eingesetzten Wortfelder: Zum einen ist es das der Natur ("Wälder" (V.1), "Ebenen" (V.2), "Seen" (V.3), "Gezweig" (V.11), "Hain" (V.12), "Herbstes" (V.14)), zum anderen das der Zerstörung ("tödlichen" (V.2), "[s]terbende Krieger" (V.5), "zürnender" (V.8), "blutenden" (V.16)). Diese beiden Wortfelder treten im ständigen Wechsel miteinander auf und sind—wie auch im Inhalt—miteinander verwoben. Somit kontrastieren sich Natur- und Kriegsbilder.

In lyrischen Werken kommen, mehr als in dramatischen oder epischen, Klangfiguren besondere Funktionen zu. Auf meist kleinerem Raum können sie ihre Wirkung intensiver entfalten und kommen so deutlicher zur Geltung. Von Bedeutung in "Grodek" ist zum Beispiel die rhythmisierende Dynamik die in V.15 durch einen Ausruf ("O stolzere Trauer![...]") erzeugt wird. Nach Abfall der Spannung in V.14 wird sie hier wieder aufgebaut und hält sich bis zum Schluss des Gedichts in V.17. Besonders auffällig wirken die Alliterationen ("goldnem Gezweig" (V.11), "grüßen die Geister" (V.13)). Vor allem in V.12 ist die klangliche Wirkung unfehlbar: "Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain". Die Sch-Laute bringen einen geheimnisvollen, leisen, gespenstischen Ton mit sich, der in der Wortwahl ("Schatten", "schweigenden") wiederholt wird. Des weiteren sind die Vielzahl eingesetzter Synkopen auffällig. Hierbei muss bemerkt werden, dass beim freien Rhythmus kein Metrum vorhanden ist, das den Dichter veranlassen könnte, Wörter klanglich durch Entfernen unbetonter Vokale dem Schema anzupassen. Durch die Synkopen wird der Blick des Lesers auf die einzelnen Wörter gerichtet ("goldnen/m" (V.2, V.11), "vergossne" (V.9), "mondne" (V.9), "ungebornen" (V.17)). Sie gewinnen verstärkt an Gewicht und Eindringlichkeit. Weiter ist eine Reihe onomatopoetisch klingender Wörter auffällig. So "tönen" in V.1 und V.14, das einen pompösen, fast majestätischen Anspruch hat, "hinrollt" in V.4, das in Verbindung mit dem Versbeginn "Düstrer" unheilverkündend klingt, "stille" (V.7) und "leise" (V.14), die, wie bereits beschrieben, eine klangliche Verzögerung der Dynamik bewirken oder "dunkeln" in V.14, bei dem der Leser sich die akustische Geräuschkulisse des Herbstes noch deutlicher vorstellen kann.

Auch im bildlichen Sprachgebrauch lassen sich Besonderheiten feststellen. So ist der im gesamten Gedicht präsente Kontrastierungseffekt von Natur und Krieg in verschiedenen Antithesen vorhanden. Besonders gegensätzlich erscheint in V.3 / V.4 das Bild der "Sonne" die "[d]üstrer hinrollt", weil die Sonne Leuchtkraft und Helligkeit, nicht Dunkelheit oder Düsternis, ausstrahlt. Weiterhin ist die große Anzahl farblich beschreibender Wörter nicht zu übersehen wie "herbstlich" (V.1), "goldnen/m" (V.2, V. 11), "blauen" (V.3), "[r]otes" (V.8), "schwarze" (V.10), "blutenden" (V.13) oder "Flamme" (V.16). Sie alle erhöhen die Bildlichkeit und dienen der Detailerfassung. Es sind kräftige, ausdrucksstarke Farben, die dem Herbst zuzuordnen sind. Mit Ausnahme der Farbe Blau kommen vor allem Schwarz, Rot und Gold in verschiedenen Variationen zum Einsatz. Ob dies als Anspielung auf die nationalen Farben der deutschen Flagge verstanden werden kann ist natürlich ungewiss, angesichts der Kriegssituation jedoch durchaus vorstellbar. Mit der Metapher in V.15 ("ihr ehernen Altäre") wird eine bildliche Darstellung der Gräber der "für die Ehre des Vaterlands" Gestorbenen gezeichnet. Eine ebensolche Metapher ist in V.10 zu finden: "Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.". Es ist egal, wohin man blickt: Überall ist nur Kriegselend erkennbar, und alle Menschen werden früher oder später daran kaputt gehen. Einprägsam ist auch die Synekdoche in V.16. Hier steht die "heiße Flamme des Geistes" für das größere Ganze, den Menschen, wenn nicht sogar für das deutsche Volk oder die gesamte Menschheit. Immer wieder wird die Natur personifiziert, eine Darstellungsweise, der sich Autoren durch die ganze Literaturgeschichte hindurch—besonders im Realismus oder Expressionismus—gern bedienen. Durch die Vermenschlichung der Natur erzeugt Trakl das Bild, dass die Natur als einziges human bleibt, die Menschen aber durch den Krieg nicht. So beispielsweise in V.1 ("tönen die [...] Wälder"), V.4 ("umfängt die Nacht"), V.7f ("sammelt [...] Gewölk) oder V.16 ("heiße Flamme [...] nährt"). Trakl nutzt auch synästhetische Elemente: "Düstrer hinrollt" in V.4 verbindet Optik und Akustik, die "heiße Flamme" in V.16 kann zugleich Tast- und Sehsinn miteinander verschmelzen. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Lernen auf verschiedenen miteinander verbundenen Kanälen (zum Beispiel Hören, Sehen) besser funktioniert als wenn man nur einen Sinn beansprucht; je mehr Sinne kombiniert werden, desto einprägsamer das Gelernte. So ist dem auch mit der Synästhesie. Durch Verbindung verschiedener Empfindungsebenen kann eine intensivere Empfindung hervorgerufen und die Bildlichkeit gesteigert werden.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 zog verlustreiche Jahre nach sich. Schon im September 1914 zeigte sich dies besonders deutlich in der blutreichen Schlacht bei Grodek, dessen Name das Gedichts Trakls trägt. Georg Trakl war zu dieser Zeit freiwillig Mitglied des Sanitätsdienstes und seine Einheit wurde bei ebendieser Schlacht eingesetzt. Trakl musste zwei Tage, ohne helfen zu können, Schwerverwundete betreuen. Diese verheerenden Eindrücke versuchte er wohl in "Grodek" zu verarbeiten. Besonders in den letzten drei Versen wird dabei sein Unvermögen klar, einen Sinn in diesem Massensterben zu erkennen. Trakl, der schon seit der Jugend psychische Probleme aufwies, flüchtete sich nach diesen Erfahrungen noch mehr in die Drogenwelt und beging wiederholt Selbstmordversuche. Schon Ende 1913, noch bevor Grodek, erlitt Trakl seine schwerste Lebenskrise bei der schweren Erkrankung seiner Schwester Margarete, die zudem ein totes Kind zur Welt brachte. Dabei muss erwähnt werden, dass Georg und Margarete zeitweise wohl ein Verhältnis zueinander hatten, das nicht mehr auf der rein verwandtschaftlichen Ebene lag und sicherlich auch zu Trakls psychischer Instabilität beitrug. Es stellt sich die Frage, ob der "Schwester Schatten" in V.13 nicht indirekt eine Anspielung auf Margarete ist. Deutlicher kommen diese Art Bezüge in anderen Werken Trakls heraus, wie zum Beispiel in "Blutschuld", in der nach Verzeihung bei Maria wegen ihrer Liebe gebeten wird. Auch kehren in Trakls Gedichten immer wieder ungeborene Kinder, meist "Enkel" auf (V.17), so beispielsweise auch in "Der Abend". Ob dies mit der Fehlgeburt seiner Schwester zusammenhängt kann nicht geklärt werden; es ist in jedem Fall auffällig, dass Trakl nicht von Kindern sondern Enkeln redet und somit einen Verwandtschaftsbezug aufbaut.

In der Epoche des Expressionismus, in der Trakl, neben Georg Heym oder Gottfried Benn, zu den bedeutendsten Lyrikern gehört, kreisen die Themen um Schwerpunkte wie die Auflösung des Ich, den verfallenden Menschen in der neuen Gesellschaft, die Großstadt oder den Krieg—wie in "Grodek". Der Krieg ruft Elend und Tod hervor, ebenso wie menschlichen Verfall. Angesichts der Grausamkeiten sowie des Gefühls der Ausgeliefertheit, Ohnmacht und Verzweifelung resignieren viele Autoren. Das Ausmaß der Zerstörungskraft des Krieges scheint ihnen zu gewaltig.